Wozu benötigt man eine Nullkupon-Zinskurve?

In den Finanzmärkten gibt es zu jedem Zeitpunkt nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Zinskurven. Grob gesagt kann man zwischen zwei verschiedenen Typen von Zinskurven unterscheiden:

  • Beobachtete Zinskurven, oder Marktzinskurven, die direkt von in den Märkten notierten Preisen konstruiert werden (z.B. Swapzinskurven oder Zinsertragskurven für Staatsanleihen).
  • Implizite Kurven, die von Marktpreisen abgeleitet werden, aber mittels einer Transformation errechnet werden, wie zum Beispiel Nullkupon-Zinskurven.

Für die Aussagekraft der Zinskurven ist es wichtig, dass die Daten, auf denen sie aufbaut, konsistent und homogen sind. Bei Zinsertragskurven für Anleihen zum Beispiel bedeutet dies, dass ausschliesslich Anleihen eines einzigen Emittenten herangezogen werden oder, wenn es sich um eine Sektorkurve handelt, von Emittenten des gleichen Sektors mit vergleichbarer Bonität.

Würde man jedoch eine Zinskurve mit klassischen Kuponanleihen erstellen, so wäre diese mit einer Reihe von Inkonsistenzen behaftet. So werden zum Beispiel zwei exakt identische Kuponzahlungen (gleicher Betrag und am gleichen Tag fällig) unterschiedlich verzinst, weil sie zu Anleihen mit unterschiedlicher Endfälligkeit gehören.

Die Bootstrap-Methode

Um Unstimmigkeiten dieser Art zu vermeiden, konstruiert man eine Nullkupon-Zinskurve, ausgehend von den Marktpreisen dieser Anleihen. Zur Erinnerung sei noch einmal darauf hingewiesen, dass ein Nullkupon-Zinssatz die Rendite eines Finanzinstrumentes ist, das während seiner gesamten Laufzeit keinerlei Geldflüsse generiert.

Die Technik zur Konstruktion einer Nullkupon-Zinskurve wird als Bootstrap-Methode bezeichnet. Dieser Name impliziert, dass es sich dabei um einen in sich geschlossenen Prozess handelt, der ohne zusätzliche Informationen von aussen durchgeführt werden kann.

Diese Methode beruht auf der Annahme, dass der theoretische Preis einer Anleihe gleich der Summe der zum für die jeweilige Fälligkeit gültigen Nullkupon-Zinssatz diskontierten Geldflüsse ist. Mit anderen Worten, man stellt die Anleihe als ein Portfolio dar, bei dem jeder Geldfluss (Kupons und die Rückzahlung des Nennwertes bei Endfälligkeit) jeweils als eine eigenständige Nullkupon-Anleihe betrachtet wird. Der Preis der Anleihe würde dann der Summe der Barwerte aller (fiktiven) Nullkupon-Anleihen entsprechen, wobei zur Diskontierung der für die jeweilige Fälligkeit gültige Zinssatz verwendet wird.

Um das eben gesagte zu veranschaulichen, nehmen wir zum Beispiel eine Anleihe mit einer Restlaufzeit von 5 Jahren und einem jährlich fälligen Kupon von 3.5%. Mit Hilfe einer Serie von Nullkupon-Zinssätzen, auf deren Ermittlung wir im weiteren Verlauf eingehen werden, könnte der theoretische Preis dieser Anleihe wie folgt berechnet werden:

Fälligkeit des Kapitalflusses
(in Jahren) [n]
Kapitalfluss
der Anleihe [C]
Nullkupon-Zinssatz
für die Fälligkeit [r]
Barwert des Kapitalflusses
C / (1 + r)^n]
1 3.500 2.15% 3.4263
2 3.500 2.64% 3.3223
3 3.500 3.15% 3.1890
4 3.500 3.45% 3.0559
5 103.500 3.63% 86.5990
Theoretischer Preis der Anleihe 99.5926

Auf der Grundlage dieses Konzeptes können wir, ausgehend von einer Zahl von Anleihen mit unterschiedlichen Endfälligkeiten eine Nullkupon-Zinskurve ableiten. Für die Kurve in unserem nun folgenden Beispiel werden wir die folgenden Papiere als Ausgangspunkt verwenden:

Wertpapier Endfälligkeit
(in Jahren)
Jährlicher Kupon Preis des Wertpapiers
A 0.5 -- 99.05
B 0.75 -- 98.45
C 1 -- 97.85
D 2 3.500% 101.40
E 3 4.000% 102.20

Die ersten drei Wertpapiere (A, B und C) sind bereits Nullkupons, da sie keine Geldflüsse bis zur Endfälligkeit generieren. Das ist üblicherweise bei Geldmarktpapieren mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr der Fall. Diese Papiere werden abgezinst herausgegeben und ihr Preis bewegt sich dann bis zur Endfälligkeit auf 100% zu, so dass die Inhaber nicht durch Zinszahlungen, sondern durch die Differenz zwischen dem Ausgabepreis und dem Rückzahlungspreis vergütet werden.

Für diese drei Wertpapiere kann der Nullkupon-Zinssatz also direkt von ihrem Marktpreis abgeleitet werden:

Wertpapier A (Laufzeit 6 Monate):

\[ r_{6m} = \left( \frac{100}{99.05} - 1\right ) \cdot \frac{12}{6} = 1.9182\% \]

Wertpapier B (Laufzeit 9 Monate):

\[ r_{9m} = \left( \frac{100}{98.45} - 1\right ) \cdot \frac{12}{9} = 2.0992\% \]

Wertpapier C (Laufzeit 1 Jahr):

\[ r_{1y} = \left( \frac{100}{97.85} - 1\right ) \cdot \frac{12}{12} = 2.1972\% \]

Die drei vorangegangenen Renditeberechnungen wurden mit Hilfe dieser Formelberechnet.

Nun können schrittweise die Nullkupon-Zinssätze für die Laufzeiten 2 und 3 Jahre abgeleitet werden. Nachdem wir bereits den Zinssatz für die einjährige Laufzeit (2.1972%) kennen, können wir die 2-jährige Laufzeit wie folgt ableiten.

Wie zuvor erwähnt, kann eine Kupon-Anleihe als Summe ihrer Geldflüsse in Form von Nullkupon-Anleihen betrachtet werden. Ihr theoretischer Preis ist also gleich der Summe der Barwerte dieser Nullkupon-Anleihen.

Um den Nullkupon-Zinssatz für die Laufzeit von 2 Jahren zu ermitteln, werden wir folglich das Wertpapier D in zwei Nullkupon-Anleihen zerlegen: die erste mit einer Laufzeit von 1 Jahr und einem Nominalwert von 3.5 (der Kupon des ersten Jahres), die zweite mit einer Laufzeit von 2 Jahren und einem Nominal von 103.5 (Kupon des zweiten Jahres und Rückzahlung des Nennwertes).

Wenn wir nun den Kupon des ersten Jahres des Wertpapiers D mit dem zuvor mit Wertpapier C ermittelten Nullkupon-Zinssatz von 2.1972% diskontieren, erhalten wir den folgenden Barwert:

\[ PV(cpn_{1y}) = \frac{3.500}{(1+2.1972\%)} = 3.42475 \]

Indem wir diesen Barwert vom Preis des Wertpapieres D abziehen, können wir den Barwert der zweiten Nullkupon-Anleihe ermitteln:

\[ PV(cpn_{2y}) = 101.40 - 3.42475 = 97.97525 \]

Damit besitzen wir all die Information, die wir benötigen, um den Nullkupon-Zinssatz für die 2-jährige Laufzeit, wie in der folgenden Tabelle dargestellt, zu berechnen:

Fälligkeit des Kapitalflusses
(in Jahren) [n]
Kapitalfluss [C] NK-Zinssatz der Laufzeit [r] Barwert des Kapitalflusses
C / (1 + r)^n]
 
1 3.50 2.1972% 3.42475  
2 103.50 ? 97.97525 *
  101.40  
* = (101.40 - 3.42475)

Um den 2-jährigen Nullkupon-Zinssatz zu erhalten, müssen wir den Zinssatz i iterativ ermitteln, zu dem der Barwert von 97.97525 angelegt werden müsste, um nach 2 Jahren 103.50 zu erhalten:

\[ 97.97525 \cdot (1+i)^{2} = 103.50 \]

Der ermittelte Zinssatz i ist 2.7808%.

Nachdem wir nun die Nullkupon-Zinssätze für die Laufzeiten 1 Jahr ( 2.1972 %) und 2 Jahre ( 2.7808 %) errechnet haben, wenden wir nun den gleichen Ansatz verwenden, um den Zinssatz für die 3-jährige Laufzeit zu ermitteln.

Fälligkeit des Kapitalflusses
(in Jahren) [n]
Kapitalfluss [C] NK-Zinssatz der Laufzeit [r] Barwert des Kapitalflusses
C / (1 + r)^n]
1 4.00 2.1972% 3.91400  
2 4.00 2.7808% 3.7865  
3 104.00 ? 94.4995 *
  102.20  
* = (102.20 - ( 3.914 + 3.7865 )

Der gesuchte Zinssatz i für die 3-jährige Fälligkeit ist also derjenige, der die folgende Gleichung verifiziert:

\[ 94.4995 \cdot (1+i)^{3} = 104.00 \]

Der iterativ errechnete Nullkupon-Zinssatz ist 3.2447%.

Die von uns erstellte Nullkupon-Zinskurve präsentiert sich also wie folgt:

Fälligkeit Nullkupon-Zinssatz
6 Monate 1.9182%
9 Monate 2.0992%
1 Jahr 2.1972%
2 Jahre 2.7808%
3 Jahre 3.2447%